Auch mehr als 70 Jahre nach Kriegsende befinden sich in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor zahlreiche Kampfmittel im Untergrund. Diese stellen ein erhebliches Risiko für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dar. Neben Schriftquellen sind insbesondere historische Luftbilder ein wesentliches Medium zur Rekonstruktion und räumlichen Eingrenzung potenziell kampfmittelbelasteter Bereiche.
Im Rahmen der Luftbildauswertung gibt es neben den vertrauten Bildinhalten wie Bombentrichtern oder Stellungen immer wieder Neues, Unbekanntes oder auch Kurioses zu entdecken. Derartige Bildinhalte, von denen im Folgenden einige Beispiele exemplarisch dargestellt werden, sorgen auch im Arbeitsalltag der „Profis“ im Hause Mull und Partner immer wieder für Erstaunen, anfängliche Verwirrung oder bestenfalls gar für Erheiterung.
Ein seltenes Schauspiel ist beispielsweise die in Abbildung 1 dargestellte Aufnahme eines in geringerer Höhe als das „Kamera-Flugzeug“ fliegenden Flugzeuges, das im Zuge der photographischen Aufklärung als „Beiwerk“ mit erfasst wurde. Die Sternmarkierung auf dem Flügel weist es als ein US-amerikanisches Flugzeug aus. Für den Fachmann ist zudem der Flugzeugtyp gut erkennbar – es handelt sich um eine Republic P-47 Thunderbolt, ein einsitziges Kampfflugzeug der USAAF, das i.d.R. im Rahmen von taktischen Luftangriffen als Tiefflieger eingesetzt wurde (dies erklärt auch die vergleichsweise geringe Flughöhe).
Im nächsten Beispiel (Abbildung 2) bietet sich ein zunächst verwirrendes Bild: Frachtschiffe (rot markiert) liegen mitten auf einem von Bombentrichtern durchzogenen Acker?
Die Lösung für dieses „Rätsel“ liegt in einem Blick zurück (s. Abbildung 3): Der Vergleich mit diesem älteren Bild zeigt einen Kanal, in dem mehrere Schiffe sichtbar sind (links im Bild). Der Kanal wurde offenbar bei einem Luftangriff beschädigt, und das auslaufende Wasser riss durch die entstandene Öffnung gleich mehrere Schiffe mit sich fort. Die Frachter kamen anschließend auf den angrenzenden Feldern zum Liegen (s. Abbildung 2). Das Beispiel zeigt anschaulich, dass bei zunächst „verwirrenden“ Luftbildbefunden häufig ein direkter Vergleich mit vorhergehenden Bildern für Klärung sorgt. Es führt einmal mehr die Notwendigkeit der multitemporalen Bildbetrachtung vor Augen. Zudem erinnert dies an die Tatsache, dass auch Wechselwirkungen zwischen der Umgebung und Kriegseinwirkungen stattfinden können.
Manchmal ist die Pointe eines Luftbildes auch nicht im Foto selbst, sondern am Rand zu finden. Hier (s. Abbildung 4) wurde ein (mutmaßlich) ungewollter Gast im Rahmen der Reproduktion (Scan oder Kopiervorgang) im Bild mit verewigt.
Eine weitere ungewöhnliche Struktur mit deutlich sichtbarem „Zick-Zack-Muster“ zeigt Abbildung 5. Die Grundform weist zunächst eine grundsätzliche Ähnlichkeit mit den häufig anzutreffenden Deckungsgräben auf, die i.d.R. ebenfalls in „Zick-Zack-Form“ angelegt werden, um deren Schutzfunktion zu verbessern. Doch es handelt es sich im vorliegenden Fall – wie die stereoskopische Betrachtung der Luftbilder ergeben hat – nicht um eine Hohl-, sondern um eine Vollform; also stattdessen vielleicht eine niedrige Mauer? Die Experten des Teams der Luftbildauswertung kamen zu dem einleuchtenden Schluss, dass es sich bei dem fraglichen Objekt unter Berücksichtigung der Parameter Form, Struktur, Maßen und Proportionen aller Wahrscheinlichkeit nach um ein denkbar harmloses Objekt handelt – eine Wäscheleine! Die Aufnahme zeigt offensichtlich die platzsparend in „M-Form“ angebrachte Leine mit dicht an dicht aufgehängten Textilien wie Kleidung, Decken oder Laken, die aus der Luft auf den Betrachter zunächst wie eine Art Mauer wirken.
Zuletzt ein Beispiel, das deutlich macht, dass auch bekannte Strukturen im Luftbild für Verwirrung sorgen können – hier (Abbildung 6) ist ein großes, auf einem Feld angebrachtes weißes Kreuz sichtbar. Rotkreuzsymbole kennzeichneten während des Krieges Krankenhäuser, Lazarettzüge und ähnliche Sanitätseinrichtungen, um diese vor Luftangriffen zu schützen. Doch in diesem Fall konnte keine passende Einrichtung in der Nähe recherchiert werden, obwohl das dargestellte Kreuz enorme Ausmaße (zum Größenvergleich betrachte man die Gebäude in unmittelbarer Nähe des Kreuzes) besitzt.
Dies lässt einigen Raum für Spekulation, der funktionale Hintergrund des Kreuzes ist allein auf Grundlage des Luftbildbefunds nicht zu ermitteln. Dennoch wissen wir alle spätestens seit dem Film Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (1989): „Noch nie hat ein X irgendwo, irgendwann einen bedeutenden Punkt markiert“.
Insbesondere mit dieser wichtigen Weisheit im Hinterkopf wird deutlich, dass Luftbildauswertung auch eine Detektivarbeit ist, in der jedem Hinweis nachgegangen wird. Denn jedes Puzzlestück in der Rekonstruktion des Kriegsgeschehens hilft dabei, die Entscheidungsgrundlage für den Anwender zu verbessern.